Die nachfolgenden Beiträge sind Fragmente aus einem größeren Komplex ("Bäreninsel") und möchten nur Einblicke in Teilbereiche des Lebens von "früher" gewähren; sie sind persönlich "gefärbt" und erheben keinesfalls Anspruch auf Allgemeingültigkeit.

 

Was weiß ich noch aus dieser Zeit von 1943 bis 1950?

Meine Mutter hatte es oft sehr schwer, uns mit dem Nötigsten zu versorgen.

Ich erinnere mich noch, dass wir im Winter bei tiefem Schnee zu einem Bauern nach Rohrbach hinüberüberstapften, um dort etwas Milch zu bekommen. In der Bauernstube stand ein seltsames Gefäß, das ich später als Butterfass kennenlernen sollte.

Ansonsten bekamen wir von den Bauern in Sulzfeld Milch und Eier, weitere Lebensmittel konnten wir mit unseren "Märklen" in den verschiedenen Läden kaufen.

Machte sich der Krieg sonst noch bemerkbar?

Sicher.

Als die Bombenangriffe 1945 an Häufigkeit zunahmen, wurden unsere Betten und einige sonstige Möbel in den Keller verfrachtet. Viele Wochen lebten wir dort unten (mein Bett stand unter der Treppe im "Kohlenkeller").

Pünktlich um 20 Uhr tauchte der "Bombenkarle" auf, zog ein paar Schleifen über Sulzfeld und verschwand wieder.

Wenn tagsüber die Sirenen bei einem Fliegerangriff ertönten, suchten wir meistens Unterschlupf im gewölbten Keller bei der benachbarten Bauersfamilie Pfefferle.

Ich kann mich an drei Bombeneinschläge in unserem Dorf erinnern: einem Haus am südlichen Ende der Neuen Bahnhofstraße wurde der Ostteil weggerissen, ein Haus in der Ochsenburgerstraße wurde völlig zerstört, und am Bedrohlichsten für uns wurde es, als eine Bombe den Westteil des Bahnhofs zertrümmerte (er ist nur ca. 100 m Luftlinie von unserem Haus entfernt); der Einschlag, der Explosionsknall und die darauffolgende Erschütterung trafen uns alle bis ins Mark.

Der Eisenbahntunnel zwischen Sulzfeld und Eppingen war ein beliebtes Ziel für die Jagdbomber, denn in ihm hatten sich oft Munitionszüge der Wehrmacht versteckt; bei Nacht konnten sie aber immer unbeschädigt entkommen.

Bei länger andauernden Bombendrohungen verließen wir unser Haus und zogen mit unserem vollgepackten Leiterwagen durch das Dorf und am Kohlbach entlang Richtung Gärtnerei Pfettscher.

Dort nächtigten wir dann auf den baumbestandenen Wiesen nahe der "Kelter", auf dem Gewann, auf dem unser jetziges Haus steht.

Ich kann mich gut an die Lichtfinger der Flakabwehr erinnern.

1945 nahm auch die Zahl der Menschen ("Fuggerer") aus den Städten immer mehr zu. In ihrer Not versuchten sie, oft sehr Wertvolles gegen Kartoffeln, Mehl und Butter einzutauschen.

Nicht wenige Bauern dürften damals ihr Vermögen beträchtlich vermehrt haben.

Im Frühjahr 1945 konnten wir aus unserem Speicherfenster beobachten, wie Soldaten beiderseits des "Rohrbacher Buckel" in den Straßengräben auf das Dorf zurobbten.

Sie stellten sich später als Marokkaner heraus, die aber das Dorf bald wieder verließen.

Ihnen folgten die Amerikaner, und wir lernten Wörter wie "Chewing Gum" und "Ok" kennen, auch stieg uns zum ersten Mal in unserem Leben der Duft einer Orange in die Nase.

Die Soldaten waren freundlich zu uns Kindern und hoben uns manchmal in ihre mächtigen Fahrzeuge.

Sie hatten die schönsten Häuser in unserem Dorf einfach beschlagnahmt.

Ihre Anordnung, alle Wertgegenstände auf dem Rathaus abzugeben, wurde nur von den Ängstlichsten befolgt. So landete auch unser wunderschönes Telefunken-Radio dort (zwanzig Jahre später entdeckte ich es bei einem reichen Sulzfelder).             

Viele vergruben auch ihren Schmuck und Uhren oder lagerten sie in geleerte Fässer ein.

Auf dem Schulhof lagen Berge von Gewehren, Pistolen und Munition jeder Art (einige Schachteln davon habe ich erst in den 1980-er-Jahren entsorgt).

Als dann die ersten Care-Pakete eintrafen, war das Schlimmste überstanden, die Zukunft wagte sich aus den Startlöchern.

Im Vergleich zu dem großen, unermesslichen Elend, das der Krieg im in Europa verursacht hatte, konnten wir uns glücklich schätzen, dass wir vor diesem verbrecherischen Wahnsinn in unserem Dorf doch weitgehend verschont geblieben waren, aber umso fassungsloser und bestürzter muss man erkennen, dass aktuell manches - vielleicht sogar vieles - darauf hindeutet, dass vergleichbare Strukturen und Denkweisen vergangener Jahrzehnte immer mehr an die Oberfläche kommen und sich erneut in den Köpfen Unbelehrbarer - oder präzise Wissender und Berechnender - breit machen und etablieren.

 "Homo sapiens"? - Man kann daran zweifeln!

 

                                             Unser Alltag                                                         

 

Ohne die kleine Landwirtschaft wäre es nicht zu schaffen gewesen.

Sie trug auch dazu bei, dass wir jedes Jahr ein oder zwei Schweine großziehen konnten.

Kartoffel und Geschrotetes (Schalen der Getreidekörner) waren ihre Hauptnahrung.

Ihre "Wartung" oblag mir.

Das bedeutete, jeden zweiten Tag die Schweine aus dem Stall zu treiben, den Mist zusammenzufegen und rauszuschaffen, frisches Stroh vom Schopfen heruntergabeln, einstreuen und die Biester wieder in den Stall zu scheuchen, was oft mit viel Mühe und Geschrei verbunden war.

Nahezu jeden Tag musste ich einen Korb Kartoffeln aus dem Keller holen, die Triebe abzupfen und sie im Kessel abkochen.

Der Brei aus Kartoffeln und Kleie wurde dann mit Wasser - selten einmal mit Milch - gemischt und in den Trog geworfen. Das Schmatzen und Grunzen der beiden höre ich heute noch.

Neben Schweinen hielten wir über Jahre auch Hühner und Ziegen, phasenweise auch Gänse, Enten und Hasen.

Die Ziegen brauchten im Sommer jeden Tag frisches Futter, dessen Besorgung mich abends meistens aus der Tätigkeit rausriss, die mir am liebsten war: Fußball spielen.

Zu jeder Tageszeit fanden wir uns zu dieser Bolzerei auf der Neuen Bahnhofstraße oder auf der Luisenstraße ein.

Anfangs (1948) mussten wir unseren "Ball" selbst basteln; meistens war es eine mit Stroh gefüllte und mit Stofftüchern oder Weidenruten umwickelte Kugel. Nach einer Stunde war sie meistens zerfetzt.

Später konnten wir Gummibälle verwenden; der Besitzer des Balles war der "Chef". Er bestimmte, wer mitspielen durfte, ebenso Beginn und Ende des Spiels.

Wenn der Ball über ein Hoftor flog, konnte es sein, dass der Hausbesitzer den Ball zum Ortspolizisten, Herrn Weber, brachte, und einer von uns dann diesen Canossagang in die Friedrichstraße auf sich nehmen musste, um den Ball wieder abzuholen; ohne eine lange und intensive Strafpredigt kam er nicht davon, ebenso ohne das feste Versprechen, in Zukunft auf dem Sportplatz rumzubolzen und nicht auf den Straßen (dieses immer wieder nicht zu haltende Versprechen war auch der Grund, warum jedes Mal ein anderer von uns in die Friedrichstraße geschickt wurde).

Das Schlimmste, das uns passieren konnte, war, dass der Ball in den Hof der Hausnummer 11 flog, denn hier hauste der "Schneiderbock", ein meistens betrunkener Einzelgänger.

Er hatte immer das Beil und den Hackklotz parat, und äußerst selten gelang es einem von uns, über das verschlossene Hoftor zu klettern und den Ball zu retten.

[Nebenbei: Es gab keinen Grund, den weiten Weg zum Sportplatz anzutreten. Auf der "Bäreninsel" gab es bis weit in die 50-er nur zwei Autos, die selten benutzt wurden und meistens in ihren Garagen standen. Heutzutage gibt es kaum ein Durchkommen, spielende Kinder auf den Straßen gibt es nicht mehr.]

Nachdem mein Vater nach Rückkehr von der Arbeit zu Abend gegessen hatte, musste ich den Leiterwagen mit einem Grastuch, der Sense und dem großen Rechen beladen und ihn dann durch die Neue Bahnhofstraße und die Friedrichstraße zu unserem kleinen Grundstück hinter der Ziegel Pottiez hinausziehen; mein Vater hatte die Abkürzung über den schmalen Fußweg, an der Firma Burgahn vorbei, genommen.

Wir trafen uns auf dem ca. 3 ar großen Wiesenstück, und er schnitt mit der Sense die notwendige Menge Gras, um das Grastuch zu füllen.

Wir verstauten alles auf dem Leiterwagen und waren nach etwa einer Stunde wieder zu Hause.     

Wenn ich Glück hatte, war die Bolzerei noch im Gange, und ich konnte bis Einbruch der Dunkelheit noch mitmischen.

Einer der wichtigsten Tage für uns alle im Laufe des Jahres war der Tag, an dem eines unserer Schweine geschlachtet wurde; meistens fand dieses Ereignis im Frühjahr statt, in der Regel   an einem Samstag.

Schon Tage vorher begannen die Vorbereitungen:

Mit dem Metzger - meistens war es Hans Meergraf - wurde der Termin vereinbart, und bei Hans Klebsattel vom "Badischen Hof" wurde die Brühmulde abgeholt und mit dem Leiterwagen zum Haus transportiert; die Schaber und Kratzer gab er uns gleich mit.

In die Küche wurde ein zweiter Tisch gestellt, und alle unnötigen Möbelstücke wurden rausgeschafft. Die Küche sollte als Zentrum dieser blutigen und fettstrotzenden Zeremonie fungieren.

Als der Metzger am Schlachttag bereits sehr früh mit seinen Werkzeugen eingetroffen war, wurde das Schwein unter großem Geschrei aus dem Stall geschafft und im Hof auf die Erde gelegt; durch beruhigendes Zureden versuchte man, das Tier zu besänftigen.

Dann wurde es getötet.

Bei den ersten Hausschlachtungen nach dem Krieg - sie waren während desselben strengstens verboten gewesen - wurde das Schwein mit einer Kugel aus einer vom Krieg übrig gebliebenen P38 in den Kopf getötet.

Bevor der Metzger ab der fünfziger Jahre seinen Bolzenschussapparat mitbrachte, starben die Schweine auf eine äußerst grausame Art.

Der Metzger oder mein Vater stellten sich breitbeinig über das am Boden liegende Schwein und versuchten, es in einem ruhigen Moment durch einen Schlag auf die Stirn mit der stumpfen Seite einer Axt zu betäuben.

Wenn der Schlag die Stirn des Schweines mittig traf, war es sofort bewusstlos und konnte gestochen werden.

Oft waren mehrere Schläge nötig, um das Tier zu betäuben; heute ein unvorstellbar barbarischer Akt.

Ob bewusstlos oder tot:

Der Metzger stach dann mit einem langen Messer in den Hals des Schweines und zertrennte die Halsschlagader.

Das herausströmende Blut wurde in einem Eimer aufgefangen und sofort mit einem Löffel minutenlang kräftig umgerührt. So wurde die Gerinnung verhindert und das Blut für die spätere Verwendung haltbar gemacht.

Wenn das Schwein ausgeblutet war, wurde es in die mit kochend heißem Wasser gefüllte Brühmulde gehievt und in mühevoller Arbeit mit scharfkantigen Schabern von Haaren und Borsten befreit.

Anschließend wurde ein Strick durch die aufgeschlitzten Achillessehnen der Hinterbeine gezogen und das Tier an einem in der Stallwand eingelassenen massiven Metallhaken mit der Bauchseite nach vorne hochgezogen.

Der Bauch wurde anschließend aufgeschlitzt, und die Organe sorgfältig herausgelöst; außer der Galle wurde nahezu alles verwendet.

Leber, Nieren, Herz, der Kopf und weitere Teile wurden in die Küche geschafft und dort von meiner Mutter und anderen Frauen zerkleinert und für die weitere Verwendung vorbereitet.

Eine der umfangreichsten Arbeiten war das Speckschneiden:

Die Speckschwarten mussten für die Wurstherstellung in kleine Würfel ("Grieben") geschnitten werden, bevor sie in kochendes Wasser geschüttet wurden.

 Manchmal hatte ich Pech und musste eine der unbeliebtesten Arbeiten übernehmen: Das Reinigen des meterlangen Dick-und Dünndarmes. Er wurde für die Wurstfüllung unbedingt gebraucht, ebenso wie der Magen ("Schwartenmagen").

Nachdem ich zunächst den Kot aus dem Darm herausdrückte, wurde er mehrmals mit Wasser so lange gespült, bis das herausfließende Wasser ganz klar war.

Nach etwa fünf bis sechs Stunden gab es als Belohnung der anstrengenden Arbeit die von allen erwartete und beliebte Kesselbrühe ("Metzelsuppe"), manchmal auch noch "Kesselfleisch".

Anschließend wurden dann die verschiedenen Wurstsorten (Leberwurst, Blutwurst/Griebenwurst, Schwartenmagen) zubereitet, in die Därme bzw. den Magen abgefüllt und im „Wäschkessel“ stundenlang gekocht (zur Verfeinerung und Geschmacksabrundung wurden noch einige Kilogramm zuvor gekauftes Rindfleisch beigemischt).

Besonders sorgfältig wurden Schweinerippchen und der Schinken zubereitet.

Letzterer wurde Tage später - nach der Lufttrocknung - im Kamin geräuchert; das dafür notwendige Sägemehl hatte ich beim "Schreinerweiß" besorgt.

Am späteren Nachmittag war es dann Zeit, die tags zuvor bei der "Eduarde" geholten und inzwischen mit Wurst und Fleisch gefüllten Dosen in einen Wäschekorb zu verstauen und mit dem Leiterwagen in die Friedrichstraße zu fahren, wo sie dann von ihr maschinell mit einem Deckel verschlossen wurden.

Mit kleinen Metallstempeln wurden auf die Deckel entsprechend des Inhalts Großbuchstaben eingestanzt (G, L, F, S).

Auch diese Dosen mussten dann einige Stunden bei kochendem Wasser im „Wäschkessel“ aushalten.

Während der Metzger schon lange nach Hause gegangen war, und mein Vater und ich vor dem „Wäschkessel“ saßen und das in ihm steckende  Thermometer kontrollierten, blieb für die Frauen noch eine harte Arbeit übrig:

Böden, Möbel, Werkzeuge und Geschirr mit kochendem Wasser von den sich überall breit gemachten Fettrückständen zu befreien.

In einem einzigen Arbeitsgang war das nicht zu bewerkstelligen; erst nach Tagen waren die Spuren dieses "Schlachttages" einigermaßen verschwunden, aber noch Wochen und Monate dauerte es, bis die Leckereien dieses Tages aufgebraucht waren und man sich aufmachte, die nächste Hausschlachtung zu planen.

Ich hauste damals im kleinsten Zimmer des Hauses, und die nächsten paar Tage fühlte ich mich wie im Schlaraffenland, denn dieses acht Quadratmeterstübchen war schon traditionsgemäß als Aufbewahrungsort für die "Ernte" des Schlachttages auserkoren.

Sie hingen an fünf Weinbergpfählen, die man links und rechts auf zwei Stühle gelegt hatte, und es kostete mich abends schon einige Mühe, mein Bett aufzusuchen, ohne ein allzu großes Durcheinander an den baumelnden Würsten und Schinken anzurichten.

An die Gerüche musste ich mich jedes Jahr wieder neu gewöhnen.

- Bäreninsel -

 

Eine genaue Begriffsbestimmung für diesen nördlichen Sulzfelder Ortsteil habe ich nirgends gefunden. Ich definiere ihn einfach als dieses Gebiet:

Das Gelände innerhalb der Neuen Bahnhofstraße, der Bahnhof-  straße, der Hauptstraße und der Friedrichstraße.

Auch der Ursprung dieses Begriffes war nicht eindeutig zu eruieren. Am Plausibelsten erscheint mir noch die Erklärung, dass die mitgeführten Bären des „Fahrenden Volkes“, das hier manchmal - in der Nähe des Bahnhofs - sein Lager aufschlug, diesem Flecken seinen Namen gaben.

Andere vermuten, dass der Begriff "Beeren“ Namenspate war.

Wie dem auch sei, diese wenige Hektar unseres Planeten waren viele Jahre meine „Welt“; hier wuchs ich auf, kannte jeden Winkel, und heute noch tauchen bei jedem Besuch unzählige Bilder und Erlebnisse auf.

Ich habe schon viele Definitionen des Wortes „Heimat“ gelesen (u.a. bei Siegfried Lenz), und immer wieder bin ich geneigt, diese „Bäreninsel“ als den Urpol meiner Heimat zu sehen.

In den bis jetzt 50 Jahren, die ich im „Ballreich“ lebe, hat sich dieses Gefühl noch nicht eingestellt.

So um die Zeit ab 1950 erweiterten wir Schritt für Schritt diesen Raum und waren immer öfter auch am Kohlbach, im Hägenich, auf der Ravensburg, im Forlen- und Rietwald zu finden.

Wer waren „Wir“?

In der Regel eine Gruppe von sechs bis zehn nahezu gleichaltriger Buben, denen sich manchmal auch zwei oder drei Mädchen zugesellten.

Die meiste Zeit trafen wir uns auf der Kreuzung der Luisen-/Neuen Bahnhofstraße und verweilten uns bei den mannigfaltigsten Spielen (Verstecken, Völkerball, "Steckele gestohlen“, Handball und vor allem Fußball/"Rasserle").

In den Wäldern dominierte das "Indianer spielen", vor allem, als ich um 1952 bereits alle mir zur Verfügung stehenden "Karl-May-Bücher" gelesen hatte (mein erstes Buch - Nibelungensage" - hatte mir mein taubstummer Nachbar Helmut geliehen).

 Auf der unteren Kohlbach ließen wir unsere geschnitzten Schiffchen treiben, bis sie bei der "Egon-Mühle" den Wasserfall hinunterstürzten.

Beeinträchtig wurde unser Rumtoben auf den Straßen durch keinerlei motorisierte Vehikel, allenfalls mussten wir dann kurz unterbrechen, wenn Bauer Pfefferle mit seinem Pferdegespann zu einem Acker hinauszog (heute sind beide Straßen mit Autos völlig zugeparkt).

Eine weitere Attraktion bildete ab 1954 das "Badhäusle" für uns.

Der vor dem Krieg gehegte Plan des Baus eines Freischwimmbades („Hitlerbad“) in der Nähe der Gärtnerei "Pfettscher" hatte sich anscheinend als nicht realisierbar erwiesen, aber um der Dorfjungend doch Gelegenheit zu bieten, sich an heißen Sommertagen ab und zu etwas Kühlung verschaffen zu                                          

 können, hatten Gemeindearbeiter gegenüber der heutigen E.G.O. den Kohlbach verbreitert und das entstandene Becken mit einer Betonmauer eingefasst; für den Durchfluss des Baches hatte man eine etwa 1x2m große Lücke frei gelassen. Die                            Die Mauern stehen noch heute                       darin hochkant stapelbaren Bretter stauten den Kohlbach zu einem etwa 10x4x1,40 m Becken, das uns in den Sommermonaten als "Lehrschwimmbad" diente; viele Kinder lernten in ihm das Schwimmen.

Ein einziger Nachteil schränkte unsere Badefreuden allerdings doch beträchtlich ein: Das Wasser des aus dem Ochsenburger Wald herunterfließenden Kohlbachs war zu kalt zum "Baden"; man sprang hinein, "strampelte" auf die andere Seite und stieg sofort wieder heraus.

 Hatten wir das „Paradies“? Konnten wir nur spielen?

Mitnichten.

Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, wurden manche von uns ab dem Alter von neun bis zehn Jahren zu vielfältigen Arbeiten herangezogen, ob im häuslichen Bereich oder bei der Feldarbeit.

Zuhause musste ich unsere Schweine füttern und alle zwei Tage ihren Stall ausmisten, die Hühner und in manchen Jahren die Ziegen versorgen, Holz spalten, samstags die „Rinne“ fegen, die Brotlaibe zum Bäcker fahren und abends wieder abholen (im Sommer mit dem Handwagen, im Winter mit dem Schlitten), mit dem Wassereimer ein- bis zweimal am Tag zum Bahnhof oder zum „Bienenheinrich“ marschieren und aus dem Brunnen Trinkwasser pumpen (das Leitungswasser war zu kalkhaltig), und einige Male in der Woche schickte man mich zum Bäcker Hagenbucher, zum „Klebsattel“ (Metzger) oder zum „Konsum“ im Oberdorf zum Einkaufen (von der Inhaberin des im Nachbarhaus befindlichen „Kolonialwarenladens“ - Frau Kunzmann -höre ich heute noch ihren Standardsatz: „Hab i nett, s`Auto isch noch nett komma“; sie konnte die angelieferten Waren meistens nicht bezahlen und erhielt so immer weniger).

Ab 1952 kam es immer häufiger vor, dass ich nach der Heimkehr aus dem Progymnasium auf dem Küchentisch einen Zettel vorfand, der mich darüber informierte, auf welchem Acker des Onkel Augustschen Besitztums ich meinen Nachmittag verbringen sollte.

Wie an anderer Stelle geschildert, liehen wir für die Arbeit auf unseren Feldern und im Weinberg einige Male im Jahr das Kuhgespann von August Krüger in der Bachstraße aus; er war der Schwager meines Vaters, und er erwartete natürlich, dass diese „Dienstleistung“ von uns in irgendeiner Form honoriert wurde. Da uns eine finanzielle Entgeltung nicht möglich war, war die Alternative nur die Einbringung dessen, was wir hatten: unsere Arbeitskraft. Meine Mutter trug dabei die Hauptlast.

Immer wieder trieb es mich auch hinunter zum Bahnhof, wo zwei bis drei Mal am Tag die Dampfzüge hielten.

Interessant wurde es abends, wenn der Güterzug einlief; da konnte man die Dampflok ganz aus der Nähe betrachten und hören.

Bei einer Rangierpause durfte ich manchmal in das Führerhaus zum Lokführer hinaufsteigen; es war ein rußiger und sicher auch harter Arbeitsplatz.

Meine heute noch vorhandene Affinität zur „Eisenbahn“ ist sicher durch den Arbeitsplatz meines Vaters bei dieser Institution bedingt.

Die anfangs vier vom Sulzfelder Bahnhof zu betreuenden Bahnübergänge wurden damals natürlich manuell bedient.                      

Dicht  bei ihnen hatte man ein kleines Häuschen errichtet, in welchem sich die Männer während ihrer Dienstschicht aufhalten konnten; sie waren telefonisch mit den Bahnhöfen Zaisenhausen, Sulzfeld und Eppingen verbunden und wurden von ihnen über die Abfahrt eines Zuges über dieses Medium unterrichtet. In der Regel kurbelten die Männer erst dann die Schranken herunter, wenn sie den herannahenden Zug gesichtet hatten  (sporadisch kam es vor, dass die Männer bei ihrer eintönigen und langweiligen „Tätigkeit“ einschliefen, und der Zug dann mit heftigem Gepfeife über den unbeschrankten Bahnübergang brauste; wenn der Lokführer den Vorgang meldete, bekam der „Schläfer“ eine Verwarnung und eine Geldstrafe).

Entsprechend der Art seiner Schicht, musste ich meinem Vater in einer mit einem Tuch umwickelten Milchkanne sein Essen zu seinem wechselnden Arbeitsplatz bringen; meistens lief ich auf den Schienenschwellen zu den Bahnwärterhäuschen oder zum Tunnel hinaus.

Ich besuche heute immer noch regelmäßig meine Schwester auf der Bäreninsel; meistens gehe ich zu Fuß die 2 km hinauf, und immer wieder tauchen beim Anblick der Häuser und Örtlichkeiten natürlich Bilder der Menschen auf, die damals gelebt und zu denen man in irgendeiner Art und Weise in Beziehung gestanden war.

Schräg gegenüber hatte Schuhmacher Fischer seine Werkstatt.

Es war ein kleiner Mann, der den ganzen Tag auf einem niedrigen Drehstuhl saß und mit einfachsten Mitteln und Werkzeugen versuchte, die Gehwerkzeuge seiner Mitmenschen einigermaßen funktionstüchtig zu halten; nach seinem Tod übernahm sein langjähriger Mitbewohner Karl Hable seine Arbeit.

Im letzten Haus auf der rechten Seite der Neuen Bahnhofstraße in Richtung Bahnhof hatte der „Dampfhansl“ einen kleinen Installationsbetrieb, bei dem ihm später sein Sohn Hans half.

Im Winter war ich oft Kunde bei ihm, denn er musste die immer wieder aufbrechenden Löcher an unseren Zinkbettflaschen zulöten.

Der größte Betrieb war die Schreinerei Friedrich, die später zu einem Möbelhaus mutierte.

Unserem Haus gegenüber stand - und steht heute noch - eine imposante Sandsteinvilla, in der Max Fischer mit der „Lumpenzwick“ seine Familie ernährte, indem er sich von irgendwoher Berge von Kleidern und sonstigen Textilien besorgte und diese dann von etwa 15 Frauen sortieren und sortengerecht bündeln ließ; oftmals während des Tages hörte man sie singen, und durch bei schönem Wetter geöffnete Fenster kamen auch die Nachbarn in den  Genuss ihrer mehrstimmig vorgetragenen Lieder.

Leider gab es da aber ein paar Lausbuben, die durch ihre in die offenen Fenster geworfenen „Wasserbomben“ die Frauen veranlassten, diese wieder zu schließen, nachdem sie vorher ihre Meinung über diese Bande lautstark bekundet hatten.

Den "Henschel" von Max Fischer fuhr Hermann Fischer.                              

Er ging mit mir manchmal zur "Kinomaiere", denn diese kleine, energische Frau führte anfangs der 50-er im Saal des "Badischen Hofes“ über das Wochenende den staunenden Sulzfeldern ihre gut besuchten Filmdarbietungen vor (beim "Förster vom Silberwald" reichte die Schlange bis zur Straße).

Als mir dann 1954 Peter Pottiez die Eintrittsgebühr von 50 Pfennigen spendierte, sah ich hier auch meinen ersten Film ("Winchester 73“); vor Aufregung passierte sogar ein kleines Malheur.

Hermann Fischer nahm mich auch manchmal auf seinen Fahrten mit; zwei davon sind mir noch in guter Erinnerung - eine nach Dürkheim in der Pfalz, wo er mir das "Große Fass" zeigte, und eine zweite nach Gernsbach im Nordschwarzwald.

Am östlichen Ende der Luisenstraße kannte ich auch einen Ort, an dem ich mich gerne aufhielt, denn hier betrieb Josef Weiß zusammen mit seinen Söhnen Rudolf und Heinz eine kleine Schreinerei (aus ihr ging später die heutige Holzhandlung „Himmel&Weiß“ hervor); den dem frisch gesägten Holz entströmende Duft mochte ich.

Gegenüber dem „Schreiner-Weiß“ hatte Wilhelm Guggolz seine Küferei und produzierte Bütten sowie große und kleine Fässer für die immer größer werdende Anzahl der „Wengerter“ in Sulzfeld. Seine Frau hatte eine andere Vorliebe: Sie huldigte der Muse der Dichtkunst und gilt heute als die Heimatdichterin unseres Dorfes.

Bei dieser Skizzierung der „Bäreninsel“ möchte ich es belassen, denn die 28 Jahre auf diesem Flecken böten noch Stoff für viele Seiten.--

 

- Augustonkel -

In manchen Beiträgen dieser „Lebensfragmente“ taucht immer mal wieder der Name "Augustonkel“ auf.

Wer war er?

Er war der Bruder der verstorbenen Ehefrau Sophie meines Stiefvaters Karl Himmel, wohnte in der Bachstraße und besaß eine kleinere Landwirtschaft; ich denke, sie umfasste etwa drei Hektar.

Im Stall standen meist fünf Kühe, die mit ihrer Milch ihn und seine Tochter Wilma versorgten und daneben als Zugtiere dienten.

Da wir öfter gezwungen waren, dieses Gespann für unsere Arbeiten auf den Feldern und im Weinberg auszuleihen, erwartete er selbstverständlich, dass wir als Gegenleistung ihn bei den im Jahresverlauf anfallenden landwirtschaftlichen Arbeiten unterstützten; das „Wir“ bezieht sich hier vor allem auf meine Mutter und mich, im Besonderen auf Erstgenannte.

Bei welchen Arbeiten mussten/konnten wir helfen?                                                        

Wir unterstützten ihn vor allem bei der Kartoffel-, Rüben- und Weizenernte.

Die Kartoffeln wurden von ihm und manchmal auch von meinem Vater mit dem Karst aus dem Boden gebuddelt, und unsere Arbeit bestand dann darin, die Kartoffeln zu sortieren und in Säcke einzufüllen.

Die Rüben wurden einzeln mit einem Stecher aus dem Boden gestochen; wir mussten dann mit einem Messer das Kraut abschneiden, die Knollen von der Erde befreien und sie dann zu Haufen aufschichten.

Genau wie die Kartoffeln wurden sie dann am Abend - die Arbeiten dauerten oft viele Tage - auf das Fuhrwerk geladen, und die Kühe zogen dann die Fracht nach Hause, wo sie im Keller oder in der Scheune noch verstaut werden mussten.

Während die Arbeiten auf den Kartoffel-und Rübenäckern teilweise durch Regen und Kälte erschwert wurden, war es bei der Weizenernte oft brütend heiß.

Vor dem Jahr 1950 wurde der Weizen - ebenso wie Gerste und Roggen -  noch mühsam mit Reff und Sichel geerntet.

Später schaffte sich Augustonkel eine Mähmaschine an, die von seinen Kühen gezogen wurden und welche die Arbeit wesentlich erleichterte und beschleunigte.

Die gebündelten Weizengarben wurden auf den Leiterwagen gegabelt und anschließend - oft auf waghalsigen Fuhren durch die ausgewaschenen Furchen der Feldwege - zu seinem Haus in der Bachstraße transportiert, wo sie dann wiederum einzeln in der Scheune auf die Tenne verfrachtet wurden.

Im späten Herbst wurde dann eines Tages die mobile Dreschmaschine in die Scheune bugsiert - mit einem oft unwilligen Pferdegespann gar nicht so einfach - und die Ähren wurden in der Maschine von ihrer Frucht befreit.

Das Stroh wurde später in der Scheune verstaut; es wurde im Winter zusammen mit dem geernteten Heu und den kleingeschnittenen Rüben an die Tiere verfüttert.

Den Weizen holte ein Müller ab.

Der Eigenbedarf an Mehl wurde später ins Haus geliefert, der Rest wurde verkauft.

Ich denke, es wäre vergeblich, jemandem, der diese Zeit nicht miterlebt hat, auch nur in kleinen Dimensionen klar zu machen, unter welchen Umständen die geschilderten Arbeiten oftmals erledigt werden mussten.

Als extrem erlebten wir kalte Regentage bei der Rüben-und Kartoffelernte, bei denen sich die nassen und klammen Finger oft wie abgestorben anfühlten und gewollte Arbeitsabläufe verweigerten oder völlig blockierten.

Das krasse Gegenteil waren glühende Sommertage, an denen wir das schnittreife Getreide ernten mussten.

Enorm unangenehm - um nicht zu sagen: ekelhaft - empfand ich die Gerstenernte, denn die sich lösenden Grannen hafteten überall auf dem schweißnassen Körper; das Beißen und Stupfen  war kaum auszuhalten.

Manchmal stahl ich mich davon, fuhr mit meinem "Tripad“ zum „Badhäusle“ und sprang in das kühle Nass, aus dem ich wie neugeboren wieder herauskam.

Als mein Vater 1970 altersbedingt die Kleinlandwirtschaft aufgab, kam ich nur noch selten in die Bachstraße.

August starb mit 73 an den späten Folgen eines Unfalls.

- Kleinbauern -

Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, war die finanzielle Situation bei uns permanent angespannt. Mein Vater verdiente – trotz seiner harten Arbeit – einfach zu wenig.

Deshalb gab es keinen Ausweg: wir mussten nach Alternativen suchen.

Die 77 ar Boden, die mein Vater geerbt hatte, mussten uns helfen. Sie mussten unser Überleben sichern.

Sie taten es dann auch, aber unter welchen Bedingungen.

In dem kleinen Anbau – unserem „Schopfen“ - hielten wir Hühner, Ziegen, Schweine, manchmal auch Hasen und Gänse.

Sie trugen wesentlich zur Entspannung unserer finanziellen Situation bei und erlaubten die Erfüllung manchen–oft notwendigen- Sonderwunsches, verursachten aber jeden Tag eine Menge Arbeit.

Daneben bewirtschafteten wir drei größere Äcker (je ca. 20 ar).

Sie wurden abwechselnd mit Weizen und Kartoffeln bepflanzt.

Alle diese Arbeiten bedurften äußerst mühseliger Handarbeit.

Zur Vorbereitung der Kartoffelbepflanzung mussten im Frühjahr mit der Harke Hunderte von Löchern gegraben werden, in die dann je eine Kartoffel gelegt wurde.

Anschließend wurden die Löcher wieder eingeebnet.

Im Laufe des Jahres musste mehrmals das Unkraut gejätet, in manchen Jahren die Kartoffelkäfer abgesammelt werden.

Im Herbst wurde dann jeder Busch mit dem Karst herausgehauen, und die Kartoffeln von den Kräutern befreit.

Die Frauen und Kinder sammelten sie dann in Körbe, die dann in Säcke entleert wurden.

Am späten Nachmittag schickte mich mein Vater dann ins Dorf, um beim „Augustonkel“ die Kühe aus dem Stall zu holen, sie vor den Leiterwagen zu spannen und damit hinauf zum Rietacker zu fahren.

Er wuchtete dann die Säcke auf den Wagen, und wir fuhren dann zum „Maiers Franz“, wo der größte Teil der Ladung abgeliefert wurde. Drei bis fünf Mark bekamen wir für den Zentner.

Noch mühseliger war die Weizenernte.

Nachdem der Acker im Frühjahr umgepflügt und mit der Egge eingeebnet war (mit Hilfe von "Augustonkels" Kuhgespann), erfolgte dann die Einsaat, anfangs per Hand, später dann mit der Maschine.

Als der Weizen dann im August schnittreif war, machte sich unsere Familie früh am vereinbarten Tag auf zum Acker.

Mein Vater schnitt mit dem „Reff“ die Mahden, meine Mutter bündelte mit der Sichel die Ähren und legte sie in die von den Mädchen ausgelegten Stricke.

Meine Aufgabe war es, die Ähren zu schnüren und die Garben in Haufen zusammen zu stellen.

Gegen Abend waren die 20 ar Weizen geschnitten.

Nebenbei: Heute verrichtet ein Mähdrescher diese Arbeit in 15 Minuten, und dann ist die Frucht

schon „im Sack“.

Wenn kein Regen kam, wurden die Garben nach zwei bis drei Tagen eingesammelt und mit dem Leiterwagen und „Onkel Gustavs“ Kuhgespann zur Familie Fundis in der Neuen Bahnhofstraße gefahren; einen Teil ihrer Scheune hatten wir gemietet.

Dort musste der hochbeladene Leiterwagen rückwärts in den Hof und dann in die Scheune bugsiert werden.

Einzeln wurden die Garben dann mit einem Seilzug zur Tenne hinaufbefördert.

Ich befand mich auf dem Wagen und schob den Seilhaken zwischen die Garben und die Schnüre ("Strickla"). Es war eine mühselige und staubige Arbeit.

Und damit war es noch lange nicht getan.

Nach einer gewissen Trocknungsphase musste die gesamte Prozedur wiederholt werden - allerdings in anderer Richtung - und mit dem vollbeladenen Wagen ging es dann hinunter zur "Dreschhalle" in der Nähe des Sportplatzes.

Christian Bauer war dort der Boss, der alles regelte und lenkte.

Wenn man oft nach Stunden dann an der Reihe war, wurde der mit den Weizengarben hoch beladene Wagen neben die Dreschmaschine gefahren, und mein Vater gabelte dann die Bündel auf die Maschine, wo sie meine Mutter in Empfang nahm.

Sie löste die Stricke und schob die Garben in den Auffangschlund der Maschine; die Stricke warf sie herunter.

Meine Aufgabe war es, die am hinteren Teil der Dreschmaschine herausgepressten Strohballen wegzunehmen und sie seitlich zu stapeln; sie wurden später abgeholt.

Der seitlich aus der Dreschmaschine herausquellende Weizen wurde in bis zu zwei Zentner schweren Maltersäcken gesammelt und auf den Leiterwagen verfrachtet.

Nach der Bezahlung beim Dreschmeister fuhren wir mit ihnen nach Hause, wo meinen Vater die härteste Arbeit erwartete.

Er musste die oft 100 Kilo schweren Säcke auf den Speicher hinauftragen und sie dort auf dem Boden zum Trocknen ausleeren.

Er ließ sich wie immer nie etwas anmerken, aber ich bin mir heute sicher, dass er oft am Ende seiner Kräfte war.

Meine Aufgabe war es dann, die nächsten Tage den Weizen mit dem Rechen umzuwälzen – und dies täglich mehrere Male.

Wenn die Körner nach etwa zwei Wochen ihre Feuchtigkeit verloren hatten, wurden sie wieder in die Säcke gefüllt, hinuntergetragen und mit dem Leiterwagen zu einem Müller gefahren, meistens nach Mühlbach.

Tage später konnten wir dann das Mehl abholen.

Oft waren es keine 10 Zentner, die von der mühseligen und harten Arbeit für uns übrigblieben.

Aber das Leben ließ keine andere Wahl.

Unser „Wengert“

– Wie er entstand –

Es muss zwei oder drei Jahre nach Kriegsende gewesen sein, als wir im „Unteren Berg“ ein etwa 10 ar großes Grundstück besaßen.

Wie alle Grundstücke in diesem Gewann, lag auch unseres mit seiner oberen Hälfte am steilsten Teil, für die intensive Sonneneinstrahlung ideal, folglich zum Weinanbau genau richtig. 

Wie mein Vater zu diesem verwilderten Wiesenstück mit zwei Obstbäumen in der Mitte gekommen ist, weiß ich nicht mehr.

Auf jeden Fall war klar, dass er darauf einen Weinberg anlegen wollte.

Tagelang mühten wir uns, die Fläche von Dornensträuchern und anderem Wildwuchs zu befreien.

Im darauffolgenden Frühjahr war es dann soweit:

Das „Neigreit“ konnte angelegt werden.

Da diese harte Arbeit von einem einzelnen Menschen nicht bewerkstelligt werden konnte – ich wäre mit meinen neun oder zehn Jahren überhaupt keine Hilfe gewesen – schaute sich Karl nach Hilfe um und fand sie im „Athlet“. Dies war der treffende Spitzname unseres Nachbarn Kolb.

Ich weiß nicht mehr, wie viele Tage sie im „Unteren Berg“ verbrachten; ich weiß nur noch, wie sie abends erschöpft und halb erfroren am Tisch in unserer Küche saßen, und wir feststellen mussten, dass der "Athlet“ nicht nur bei der Schwerstarbeit im "Unteren Berg" seinen Mann stand, sondern auch darin einsame Spitze war, wenn es galt, die Vorräte unserer Räucherkammer doch beträchtlich zu reduzieren. Er hatte es sich aber allemal redlich verdient.

Was genau taten die beiden?

Während heute beim Anlegen eines neuen Weinberges modernste GPS-Technik zum Einsatz kommt, ging es im „Unteren Berg“ primitiver zu; das Ergebnis konnte sich aber trotzdem sehen lassen.

Mit langen Schnüren, einem Meterstab und kleinen, etwa 30 cm langen Holzlatten, wurden zunächst die Stellen markiert, wo später die Löcher für die Rebstöcke gegraben werden mussten.

Dabei mussten sie genau darauf achten, dass die Stöcke exakt „in der Flucht“ stehen und die sechs Reihen auch präzise parallel den Hang hinauf verlaufen würden.

Diese Arbeit nahm einige Tage in Anspruch, war aber weniger anstrengend.

Was dann kam, war härteste Knochenarbeit.

Mit Spaten und Pickel mussten die vielen, etwa 50 bis 60 cm tiefen Löcher aus dem zähen und harten, teilweise noch gefrorenen Boden praktisch „herausgepökelt“ werden.

Viele Tage dauerte diese alle Kräfte beanspruchende Plackerei.

Im Frühjahr wurden dann die Rebstöcke und die Weinbergpfähle gekauft und mit Hilfe von Gustavs Kuhgespann an den Fuß des Hangs geschafft.

Die Pfähle wurden seitlich in die Löcher gerammt, die Rebstöcke hineingestellt und mit Erde überdeckt; wenn kein Regen zu erwarten war, mussten sie jeden zweiten Tag gewässert werden.

Die monatelange Arbeit war jetzt endlich zu Ende, der „Wengert“ war fertig.

Die Rebstöcke standen in Reih und Glied und zeigten bald die ersten Triebe.

Kein Mensch im Dorf fand die Arbeit dieser 2 Männer besonders erwähnenswert, aber für mich ist sie heute noch ein Sinnbild von Durchsetzungsfähigkeit, Zähigkeit und eisernem Willen.

Zwei bis drei Jahren mussten wir noch warten, bis die ersten Trauben herangereift waren.

Als der Wengert später voll „im Betrieb“ war, erbrachte die Lese – sie war immer ein festliches Erlebnis - im Herbst etwa 1000 Liter Wein, und wir taten das Jahr über alles, dass im nächsten Herbst die Fässer zur Aufnahme für die neue Ernte wieder bereit waren.

                                   - Arbeiten im „Wengert“ -

 

Nur ein paar Wochen im Winter beansprucht ein Weinberg seine Besitzer nicht.

Schon im Februar beginnt der Jahresreigen der Arbeiten rund um die Reben.

Sie müssen zurückgeschnitten und dann wieder an die Drähte angebunden werden.

Nach den ersten Regenfällen wurde damals der Boden mit dem Karst tief umgeharkt, im Jahresverlauf wurde er dann mehrmals mit der Harke aufgelockert.

Eine wichtige Arbeit war das Spritzen gegen Schädlinge und vor allem Peronospora.

In den ersten Jahren war dies ein sehr mühsames Geschäft, denn das dafür notwendige Wasser mussten wir von zuhause mit Eimern und Bottichen mit dem Ziehwagen die 2 km zum "Unteren Berg“ hinauf transportieren; die Verluste unterwegs waren enorm. Erst an Ort und Stelle wurden dann die Chemikalien unter heftigem Rühren mit dem Wasser vermischt.

Mit dem manuell zu bedienenden „Spritzbutten“ stapfte mein Vater durch die Reihen und sprühte die Giftbrühe auf die Blätter.

Ich musste ihm in zwei Eimern die Brühe zum Nachfüllen hinterhertragen.

Pech für mich war es immer, wenn der „Spritzbutten“ oben auf dem Berg leer geworden war, denn dann hieß es, die nahezu 20 Kilogramm Spritzbrühe den steilen Hang nach oben zu schleppen.

- Wengerthäuschen -

Ein paar Jahre später wurde es leichter für uns.

Auf dem Küchentisch entwarf er den Plan eines „Wengerthäuschens“.

Akribisch zeichnete er die Seitenwände, das Dach und vergaß auch nicht, an der späteren Südseite die Türe einzupassen.

Wichtig waren auch die zwei Dachtraufen, um das Regenwasser einzusammeln, denn dies ersparte uns die Mühen, die mit dem Wassertransport verbunden gewesen waren.

Immer wieder verließ er die Küche und überprüfte auf dem Hof seine fiktiven Maße auf ihre spätere Brauchbarkeit.

Als er mit seiner Arbeit fertig und zufrieden war, ging er zum „Schreinerweiß“ rüber, bestellte die notwendigen Bretter und ließ sie sich vor dem Abholen gleich zuschneiden.

Im Hof wurde das Häuschen dann komplett aufgebaut; auch das Dach und die Traufen wurden angebracht.

Für die vier Eckpfosten goss er sich mit Hilfe von vier alten Eimern die Betonklötze, die sie später aufnehmen sollten.

Bevor er sein Wunderwerk wieder in seine Einzelteile zerlegte, nummerierte und kennzeichnete er sie mit Zahlen und schwarzen Farbmarkierungen.

Eines Tages machte ich mich früh morgens zu meinem bekannten und gewohnten Gang zum „Augustonkel“, holte das Kuhgespann aus dem Stall, spannte es vor den Wagen und trabte mit ihm durch das Dorf zum Haus in der Neuen Bahnhofstraße mit der Nummer 7.

Als das Häuschen auf dem Wagen verstaut war, machten wir uns auf den Weg zum "Unteren Berg“.

Sinnvoll und ökonomisch wäre es gewesen, die Hütte in der geografischen Mitte des Weinbergs aufzustellen, denn dies hätte die Laufwege beim Spritzen halbiert.

Warum er es aber ganz oben aufbaute, weiß ich nicht. Möglicherweise wäre es ihm zu mühsam gewesen, alles in die Mitte hinauf- bzw. hinunterzuschaffen.

So mühten sich die zwei Kühe mit ihrer Last den „Viehtriebweg“ hinauf, sodass wir ganz oben die Teile abladen konnten.

Gegen Mittag thronte sein Werk in luftigen Höhe.

Nahtlos hatte alles gepasst. Die zwei Dachtraufen endeten innen und sollten kommendes Regenwasser in zwei beim "Burgahn“ erstandene Plastikfässer leiten.

Eine weitere Erleichterung sollte später der Kauf einer benzinbetriebenen Spritze bringen; durch sie wurden meine Laufwege stark eingeschränkt, und sie brachte so eine große Erleichterung.

                             - Vom „Wengert“ auf den Tisch -

Wie bereits kurz erwähnt, war der Höhepunkt im Jahresreigen eines „Wengerters“ die Traubenernte, die Lese.

Bereits Wochen vorher wurden die Bütten und die Fässer überprüft und gereinigt, wobei vor allem die Säuberung der Fässer eine recht mühsame und aufwändige Arbeit war.

Wir hatten vier Fässer mit insgesamt 1000 Liter Fassungsvermögen.

Sie mussten zunächst einzeln den schmalen und relativ steilen Kellergang heraufgeschafft werden, bevor dann mit einem Spezialhammer die oberen drei Eisenreifen entfernt werden konnten.

Nachdem dann das Fass von restlicher Flüssigkeit und gröberen Weinsteinbrocken befreit worden war, musste ich meiner Rolle als „Fasskriecher“ gerecht werden. Ich kroch also in das Fass und schrubbte mit einer harten Bürste den Boden und die Innenwände sauber.

Anschließend platzierte mein Vater getrocknete Schilfbahnen zwischen die einzelnen Bretter („Dauben“), stülpte nacheinander die einzelnen Eisenbänder wieder drüber und hieb sie mit kräftigen Schlägen mit dem Spezialhammer (er hatte längs eine schmale Kerbe) fest.

Zum Schluss wurde wiederum der Deckel eingepasst; auch hierbei durfte das Schilf nicht vergessen werden.

Beendet wurde die Arbeit an den Fässern, indem 30 bis 40 cm lange „Schwefelschlutten“ angezündet und in sie hineingehängt wurden; ich vermute, sie sollten die Fässer desinfizieren.

Als der große Tag dann gekommen war, wurde die große Bütte, der Tragebutten, Eimer, Messer und Scheren sowie allerhand Kleinkram auf den Leiterwagen des Kuhgespanns verladen und hinunter ging`s dann zum „Unteren Berg“.

Vor allem bei schönem Wetter herrschte bereits morgens eine aufgeheiterte, lustige und fröhliche Stimmung.

Die Schnitterinnen und Schnitter wurden dann auf die einzelnen Reihen verteilt; die abgeschnittenen Trauben warfen sie in ihre mitgeführten Eimer und die wiederum kippten sie, wenn sie voll waren, in den Tragebutten, den mein Vater dann bei Bedarf in die große Bütte auf dem Leiterwagen ausschüttete.

Bei jedem Butten, den er ablud, schnitzte er eine Kerbe in seinen mitgeführten Stock; so ließen sich die Erträge der einzelnen Jahre gut vergleichen.

Um die Mittagszeit sammelte ich Holz und entfachte ein kleines Feuer, auf dem dann die Fleischwürste heiß gemacht wurden, so dass sich wenig später alle im Kreis darum versammelten und sich ihr einfaches Mahl schmecken ließen.

Am frühen Nachmittag war alles beendet, und wir machten uns auf den Heimweg, allerdings nicht, bevor ich zuvor noch ein kleines Bündel Akazienäste sammeln musste, das später in der großen Bütte Verwendung finden sollte.

Zuhause wurde das Fuhrwerk in den hinteren Hof bugsiert, wo bereits die große Bütte mit der Raspel vorbereitet war.

Mein Vater schüttete dann den Inhalt der Bütte auf dem Fuhrwerk Eimer für Eimer in die Raspel, deren Kurbel wir bedienen mussten, was nicht einfach war.

Gegen Abend hatte sich all die schöne Traubenpracht in eine glitschige Masse aus Traubenkämmen und süßem Saft verwandelt; meistens war die Bütte randvoll (1000 Liter).

Bei warmem Wetter begann der Gärvorgang sofort und dauerte dann etwa ein bis zwei Wochen; die Maische musste ich jeden Tag einige Male mit einer Harke umwälzen.

Die Bütte stand etwas erhöht auf vier Holzbohlen, so dass man nach etwa zwei Wochen den Spunten entfernen und den herausströmenden Wein in Eimern auffangen konnte; er wurde in den Keller hinuntergetragen und über den aufgesetzten Holztrichter in die jeweiligen Fässer geschüttet.

Dort vergor er vollends, bis dann im Frühjahr wieder eine harte Arbeit auf Erledigung wartete: Der Wein musste abgelassen, die Fässer aus dem Keller geholt und gereinigt werden, bevor dann der Wein wiederum in sie abgefüllt werden konnte.

                                                                                - Most -

Neben den 1000 Liter Wein, die wir pro Jahr produzierten und verbrauchten, mussten wir ja auch noch unsere zahlreichen Äpfel- und Birnenbäume abgeerntet werden.

Sie lieferten ebenfalls etwa 1000 Liter Flüssigkeit, in diesem Fall eben Most.

Das Obst brachten wir nach Schütteln, Zusammenlesen und Einbringen in Säcke zu einem der drei Nachbarn, die die entsprechenden Geräte zur Verarbeitung besaßen und gegen ein geringes Entgelt zur Verfügung stellten.

Meistens mahlten und pressten wir beim Eigenmann, vier Häuser südlich von uns.

Im Gegensatz zur Obstmühle, die elektrisch angetrieben wurde, musste die Saftpresse manuell bedient werden.

 Sie wurde in mehreren Lagen mit dem Mahlbrei befüllt und dann an einem langen Hebel bedient.

Der herausgepresste Saft wurde in einem Bottich aufgefangen.

Aus ihm schöpfte ich dann den Saft eimerweise in ein ca. 50-Literfässchen, das im Ziehwagen lag.

Wenn es gefüllt war, zog ich die Fuhre nach Hause und trug den Süßmost wiederum eimerweise in den Keller, wo die Fässer bereits darauf warteten, mit ihm befüllt zu werden.

Beim Lesen des Vorangegangenen kann schon ein leichter Verdacht entstehen, dass es sich bei den damalig Handelnden doch um mehr oder minder schwere Fälle von Alkoholiker handeln könnte; eine Familie mit zwei Erwachsenen und vier minderjährigen Kindern verputzt jährlich 1000 Liter Wein und 1000 Liter Most.

Das ist doch schon allerhand.

Dieses Ansinnen bedarf strikten und vehementen Widerspruchs.

Warum?

Die Menschen damals haben beträchtlich Alkoholmengen zu sich genommen, aber sie haben auch körperlich hart gearbeitet; heute findet sich in vielen Fällen nur das Erste.

Dann gab es damals neben Wein und Most nur noch Wasser als Durstlöscher, und bei den Arbeiten auf den Feldern und im Weinberg waren oft viele Menschen beteiligt; vielfach wurden Wein und Most mit glasklarem Wasser, das man den überall sprudelnden Quellen entnahm, vermischt, so dass es von jedem genossen werden konnte; manche Flasche Wein wurde auch verschenkt.

Erst in den frühen 60-er Jahren tauchten Bier, Mineralwasser und weitere Getränke auf.

Das Bier der Weigert-Bräu, das es schon bald nach Kriegsende gab, konnten wir uns allerdings anfangs nicht leisten.

- Winter –

 

Dieser Begriff hat für uns heute seine eigentliche Bedeutung verloren; die letzten Jahre haben wir hier nahezu all dies nicht mehr erlebt, was sein Wesen und seine vielfältigen Erscheinungsformen ausmachen.

Die Winter in den Kriegsjahren und bis 1950 müssen teilweise sehr schlimm gewesen sein; ich erinnere mich noch gut an die extremen Winter 1944/45 und 1947/48, vor allem an letzteren.

Warum litten wir alle unter der Kälte?

Da war zum einen der Zustand der Häuser, und zum anderen lag es an unserer Kleidung.

In der Regel war der einzige beheizbarme Raum die Küche, wo ein Herd sowohl die Koch- und auch gleichzeitig die Heizfunktion übernehmen musste.

Er durfte bis spät abends nie ausgehen.

Gefüttert wurde er mit Holz und Kohlen; zwischenzeitlich wurde das Feuer mit Briketts am Leben erhalten.

Das Holz lieferten uns alte Bäume, manchmal wurde auch ein oder mehrere Ster dazu gekauft.

Später erschien dann der "Holzsäger" mit seiner Maschine und zersägte alles in handliche Zylinder; das anschließende Weiterverarbeiten mit Axt und Beil in ofenfertige Holzscheite oblag dann mir.

Mit Hilfe einer von Vater gebastelten Zugvorrichtung hievten wir anschließend den gesamten Stapel an der Hauswand hoch in den Speicher.

Die im Frühjahr beim Rebschnitt angefallenen Reben hatten wir gebündelt nach Hause transportiert und auf dem Schopfen verstaut. Sie wurden zum Anzünden verwendet.      

Die Kohlen mussten wir vor dem Winter in der Nähe der Güterhalle abholen.

Der „Kohlen-Mayer“ schippte sie aus dem Eisenbahnwaggon, und wir mussten sie in die bereitgestellte Waage verladen.

Wenn der Zeiger die Zentnermarke (50 kg) erreicht hatte, musste ich den Kohlensack an die Öffnung halten, und mein Vater kippte die schwarze und staubige Pracht hinein.

Drei Säcke konnten wir auf unserem Handwagen verstauen, dann keuchten wir mit der Kohlenfracht den

„Bahnhofsbuckel“ hinauf und trugen unsere Schätze in den Keller. Etwa 10 Zentner pro Winter bekamen die     

„Eisenbähnler“ von ihrem Arbeitgeber zu etwas reduziertem Preis.

Die anderen Räume in unserem Haus konnten nicht beheizt werden; jeden Morgen waren so alle Fenster mit dicken Eisblumen bedeckt.

Es waren phantastische Kunstwerke, auf die wir aber gerne verzichtet hätten.

Brutal wurde es natürlich abends, wenn wir in unser Schlafzimmer gehen mussten. Mutter half uns manchmal, indem sie Backsteine im Backofen des Herdes aufwärmte, sie dann mit Tüchern umwickelte und uns mit ins Bett gab.

Da die Häuser nicht isoliert waren, froren manchmal die Wasserleitungen ein, und wenn sie unsachgemäß aufgetaut wurden, platzten sie oft. Dann half nur noch eines: Runter in den Keller und den Zentralhahn zudrehen. Für eine Weile gab es dann eben im ganzen Haus kein Wasser mehr.

Da es auch noch keine Kanalisation gab, floss alles Wasser aus der Küche, aus den Dachrinnen, aus sonstigen Räumen und den Ställen am Hausrand entlang hinaus in die Straßenrinne.

Mit Beil und Axt mussten die dick mit Eis überzogenen Gehwegplatten morgens oft frei gehackt werden.

In manchen Jahren lähmten auch Unmassen von Schnee das Dorf und blockierten nahezu jedes Fortkommen, so dass tagsüber ein von vier Pferden gezogener Schneepflug die Dorfstraßen einigermaßen freihielt. Die wenigen Autos, die es nach dem Kriegsende im Dorf gab, hatten lange Zeit ihre Ruhe.

Ich kann mich noch gut erinnern, wie an manchen Morgen mein Vater mit Schippe und Besen einen schmalen Pfad zum Stall hinüber freischaufeln musste, um Hühner und Schweine füttern zu können.

Damit wir Kinder überhaupt zur Schule rübergehen konnten, mussten uns die Männer vorher auf der Straßenmitte ebensolche Gassen schaffen.

Einen Nebeneffekt der damals noch nicht vorhandenen Kanalisation nutzten wir Buben weidlich aus, denn die im ganzen Dorf dick mit Eis bedeckten "Straßenrinnen“ waren ideale Schlittschuhbahnen; überall im Dorf sausten wir auf ihnen herum.

Ebenso tummelten wir uns mit unseren „Absatzreißern“ auf den dicken Eisflächen der "Bombentrichter“, einem Überbleibsel der Angriffe der amerikanischen Flugzeuge auf Munitionszüge.

In jeder freien Minute bewegten wir auch unsere Schlitten, einzeln und manchmal im Pulk.

Der „Bahnhofsbuckel“ war sehr beliebt, weil nahe; gefahren wurde aber auch am "Duchbuckel“ am östlichen Ende der Friedrichstraße.

Außerhalb des Dorfes trieben wir unsere Schlitten über die Hänge am „Unteren Berg“, dem „Rietbuckel“ und vor allem über die verschiedenen Abfahrtsmöglichen, welche die Ravensburg bot.

Das „Steile Dach“ in der Nähe des Schießstandes blieb den Könnern vorbehalten.

Um 1952 muss es gewesen sein, als wir uns aus Fassdauben zum ersten Mal primitive Skier zusammenbastelten und mit Hilfe von Weinbergpfählen als Skistöcken die Hänge hinunterrutschten.

Als das für uns tollste „Nebenprodukt“ der strengen Winter empfanden wir die immer wieder verordneten "Kohlenferien“; sie genossen wir stundenlang im Schnee und auf dem Eis.

Bei vielen fehlte es allerdings auch an schützender Kleidung und vor allem an brauchbaren Schuhen.

Zu kaufen gab es nicht viel bzw. man konnte es sich nicht leisten, warme Wintersachen anzuschaffen (einer Nachbarsfamilie mit sechs Kindern standen nur zwei Paar Schuhe zur Verfügung).

Stricksachen mussten als Ersatz herhalten; sie genügten auch in der Regel, aber eines dieser Utensilien hasste ich wie die Pest.

Da unsere langen Hosen zu dünn waren, mussten wir darunter gestrickte Strümpfe anziehen. Noch heute überspült mich ein Grausen, wenn ich nur daran denke, wie ich morgens kurz vor sechs Uhr - der Zug nach Eppingen fuhr um 6.30 Uhr ab - auf der Eckbank saß und diese Strümpfe millimeterweise hochzog, wieder nach unten stieß und doch irgendwann weitermachen musste.

Befestigt wurden sie dann am Oberschenkel mit Gummibändern, die man normalerweise bei den Einmachgläsern verwendete; den Mädchen half eine Art von Strapsen.  

Wenn es wieder richtig kalt geworden war, teilten Arbeiter auf den Wiesen neben dem Kohlbach Richtung Zaisenhausen mit etwa 50 cm hohen Brettern eine 20x20 m große Flächen ab, die sie mit dem Wasser des umgeleiteten Kohlbaches auffüllten.

Nach einigen Tagen wurde das entstandene Eis mit Stichsägen herausgeschnitten und in etwa 20x20x100 cm großen Quadern auf mit Stroh ausgelegten Bauernwagen abtransportiert.

Der größte Teil davon wurde in die relativ kalten Keller bei Herrn Rückel in die Weigert-Brauerei verfrachtet und kühlte dort bis in den späten Sommer seinen Gerstensaft.

Wenn er etwas davon entbehren konnte, holten sich auch manche Kaufleute ab und zu einen Eisbarren; unsere Nachbarin, Frau Kunzmann - sie betrieb einen kleinen Kolonialwarenladen - schickte mich manchmal mit unserem Leiterwagen zum Rückel runter, um einen der Barren zu holen. Sie zerstückelte ihn dann und schüttete die Eisbrocken in eine Metallwanne, in der sie verderbliche Waren aufbewahrte.

So hart es damals war, den langen und anstrengenden Wintern ihre Freuden abzutrotzen, umso so intensiver haften diese Erlebnisse bis heute; und heute, wo wir sie genussvoller gestalten könnten, gibt es sie nicht mehr.          

Paradoxe Welt!