Badischer Hof war Schauplatz des Geschehens.
Braungefärbte Kampfgenossen dreschen
auf Andersden-
kende ein. Es wird zurückgeschlagen
RADFAHRER-VEREIN "SAUSEWIND"
Lassen wir uns in ein Stück Dorfgeschichte
hineinreißen. Bert-
hold Schuldt liebte seine Mundart.
Er blieb
auch gerne stehen, um sich mit den
Menschen zu unterhalten,
wenn er ins Unterdorf unterwegs war,
um die Schuluhr
zu betreuen. Schuldt grüßte
alle und machte meistens kurze,
witzige Bemerkungen.
Als er nach sorgfältig getaner
Arbeit noch einmal alle vier Ziffer-
blätter der Schuluhr prüfend
betrachtet hatte, machte er sich
auf den Weg nach Hause, konnte aber
trotz aller Anstrengung
an der Tür zum "Badischen Hof"
nicht vorbeigehen.
Das Lokal hatte für ihn etwas
Anziehendes, und er
fand auch dort unter den Gästen
echte Nähe, die ihm ein Ge-
fühl der Geborgenheit vermittelte.
Im übrigen wollte er auch
dem an diesem Sonntag im "Badischen-Hof-Saal"
stattfindenden
Saalradfahren und den Radballspielen
beiwohnen.
Neben diesen physischen und sportlichen
Gründen führten ihn
auch kommerzielle Überlegungen
in den "Badischen Hof".
Möglicherweise ergaben sich Gelegenheiten,
Fahrräder
zu verkaufen oder zu reparieren.
Bertbold Schuldt betrat das Gasthaus.
Am runden Wirtshaustisch
war kaum noch ein Platz frei. Er rückte
sich einen Stuhl zurecht
und nahm Platz. "Berthold, hasch Dorscht?"
So lautet nach dem
Gruß gleich die erste Frage des
Badischen-Hof-Wirts. Dieses
Amt bekleidete zu jener Zeit Jakob
Diefenbacher. Er
war Absolvent der landwirtschaftlichen
Akademie in Stüttgart-
Hohenheim. Der Ökonom Diefenbacher
beschäftigte einen
Metzgergesellen, und sein Ehrgeiz trieb
ihn dazu, von seinem
Gesellen das Metzgerhandwerk abzugucken.
Die Frage an
Schuldt, ob er Durst habe, kam automatisch
über seine Lippen.
Nicht nur Durst habe er, er leide sogar
schon unter einer trockenen
Kehle, meinte Schuldt.
Es war die Zeit der Amerikaner-Reben,
allbekannt als Händelstifter,
mit deren Saft der Wirtshausbesitzer
alle seine Fässer gefüllt hatte.
Berthold Schuldt vermutete zwar, der
Wein sei sauer, aber als der Gastronom
das Angebot machte: "Gib eine Mark
her, nord konnsch saufa,
bis'd umfellsch", war Schuldt überzeugt.
Er nahm das Gebot an, das auch dann
für alle anderen Gäste galt.
Ob es Neuigkeiten im Dort gebe, fragte
Schuldts Tischnachbar. Gleich hatte
Schuldt eine Anwort parat. Er sei heute
Morgen schon im Dorf
unterwegs gewesen, und er traute wirklich
seinen Augen nicht,
als er eine größere Gruppe
Uniformierter auf Fahrrädern gesehen hatte.
Es tauchten am Tisch keine weiteren
Fragen zu diesem Thema auf.
Wahrscheinlich war dieses Schweigen
auch eine Antwort.
Was es sonst noch Neues im Dorf gebe,
wollte ein anderer
Mann wissen. Schalkhaft näselnd
meinte er: "Wenn ihr unbedingt
etwas Neues hören wollt, Däbbele,
heut Nacht hat an meiner lockeren Dachrinne
der Wind Posaune gespiett." Zustimmendes
Lachen ermunterte ihn
zu weiteren Geschichten.
Der Tag, ein sommerlich heißer
Sonntag, war genau richtig zu dem
angekündigten Saalradfahren und
Radballspiel des Radfah-
rer-Vereins "Sausewind'' im Badischen-Hof-Saal.
Der Verein
hatte einen guten Namen, wie uns die
Gewährsleute sagten.
Die Vereinsmitglieder waren alle links
orientiert und somit
keine Anhänger der "Braunen".
Der Badische Hof war das Vereinslokal
der Arbeitersportbewegung. Die Gar-
tenwirtschaft unter den schattenspendenden
Kastanienbäumen war randvoll von Menschen.
So groß war der Zulauf zu diesem
Radfahr-Spektakel, weil
solche Abwechslungen im Dorfe rar waren.
Der alte Lüdecke, ein exzellenter
Konditor und Feinbäcker, ein echter Berliner,
hatte im Badischen-Hof-Garten einen
Verkaufsstand aufgestellt, der wie üb-
lich von Kindern umlagert war, die
ihr spärliches Sonntags-
geld gegen Süßigkeiten und
Wundertüten eintauschten.
Beim Saalradfahren begannen die großen
Nummern auf dem
Hochrad. Immer wieder bewiesen die
Radler ihr Können.
Ein Glanzstück nach dem anderen
folgte, mit einem Höchst-
maß an Geübtheit und Disziplin.
Niemand der Akteure und Besucher ahnte,
was noch alles
passieren sollte.
Eine Gruppe der Nationalsozialistischen-Deutschen-Arbeiter-Partei
(NSDAP)
war an diesem Sonntag in Sulzfeld mit
ihren im Winde wehenden Hakenfreuzfähnchen unterwegs
und wollte Propaganda machen für
den anstehenden
Wahlkampf. Ihnen war Berthold Schuldt
schon am Vormittag begegnet, und nur er hatte
eine blasse Vorstellung, was passieren
würde bei einer Begegnung der sich feindlich
gesinnten Gruppen.
Die uniformierte Truppe machte sich
aggressiv und aufdringlich bemerkbar.
Alle Teilnehmer dieses Demonstrationszuges
gehörten aus-
wärtigen SA-Standarten an. Die
Wirtshaustreppe war voll mit erwartungsvollen
Besuchern, als der Demonstrationszug
der "Braunen" am Badischen Hof vorbeizog.
Verbale Auseinandersetzungen flammten
auf, bei denen die "Braunen" den Kürzeren zogen
und sie zunächst weiterziehen
ließen.
Als ihnen ihre Niederlage bewußt
wurde, kehrten sie um.
Mit Hilfe grelle Töne, die er
aus seiner Trillerpfeife stieß,
forderte der SA-Anführer zum Sturmangriff
auf.
Die Horde stürmte in den Badischen
Hof und schlug alles
nieder, was ihr in die Quere kam.
Als erstes stürzte der Süßigkeitenverkaufsstand
des Konditors
Lüdecke zusammen, und der kleine
Emil mußte in Obhut ge-
bracht werden.
Viele Unschuldige wurden verletzt,
die Veranstaltung im Saal
sofort abgebrochen. Die Menschen flohen
nach Hause.
Diese Ausschreitungen wurden weder
polizeilich angezeigt noch verfolgt.
Berthold Schuldt war nicht gegangen.
"Das ist unsere Heimat," sagte
er, "das ist unser Dorf, hier sind
wir daheim und werden
unseren demokralischen Weg gehen".
Schuldt regte sich furchtbar auf
und diskutierte noch lange mit den
wenigen Dagebliebenen.
Abschließend meinte er: "Däbbele,
das waren heute Blinde mit Binde,
die die Macht im Lande erobern wollen."
Der Rufer und Mahner Schuldt hat eben
im Widerspruch mit
seiner Zeit gelebt. Mit der Schilderung
dieses Vorfalls sollen
keine politischen Schuldzuweisungen
zum Ausdruck kommen.
Es soll nur erinnert und vor dem Vergessen
bewahrt werden.