1932: Fanatismus führte zur Saalschlacht

Badischer Hof war Schauplatz des Geschehens.
Braungefärbte Kampfgenossen dreschen auf Andersden-
kende ein. Es wird zurückgeschlagen

RADFAHRER-VEREIN "SAUSEWIND"

Lassen wir uns in ein Stück Dorfgeschichte hineinreißen. Bert-
hold Schuldt liebte seine Mundart. Er blieb
auch gerne stehen, um sich mit den Menschen zu unterhalten,
wenn er ins Unterdorf unterwegs war, um die Schuluhr
zu betreuen. Schuldt grüßte alle und machte meistens kurze,
witzige Bemerkungen.

Als er nach sorgfältig getaner Arbeit noch einmal alle vier Ziffer-
blätter der Schuluhr prüfend betrachtet hatte, machte er sich
auf den Weg nach Hause, konnte aber trotz aller Anstrengung
an der Tür zum "Badischen Hof" nicht vorbeigehen.
Das Lokal hatte für ihn etwas Anziehendes, und er
fand auch dort unter den Gästen echte Nähe, die ihm ein Ge-
fühl der Geborgenheit vermittelte. Im übrigen wollte er auch
dem an diesem Sonntag im "Badischen-Hof-Saal" stattfindenden
Saalradfahren und den Radballspielen beiwohnen.

Neben diesen physischen und sportlichen Gründen führten ihn
auch kommerzielle Überlegungen in den "Badischen Hof".
Möglicherweise ergaben sich Gelegenheiten, Fahrräder
zu verkaufen oder zu reparieren.

Bertbold Schuldt betrat das Gasthaus. Am runden Wirtshaustisch
war kaum noch ein Platz frei. Er rückte sich einen Stuhl zurecht
und nahm Platz. "Berthold, hasch Dorscht?" So lautet nach dem
Gruß gleich die erste Frage des Badischen-Hof-Wirts. Dieses
Amt bekleidete zu jener Zeit Jakob Diefenbacher. Er
war Absolvent der landwirtschaftlichen Akademie in Stüttgart-
Hohenheim. Der Ökonom Diefenbacher beschäftigte einen
Metzgergesellen, und sein Ehrgeiz trieb ihn dazu, von seinem
Gesellen das Metzgerhandwerk abzugucken. Die Frage an
Schuldt, ob er Durst habe, kam automatisch über seine Lippen.
Nicht nur Durst habe er, er leide sogar schon unter einer trockenen
Kehle, meinte Schuldt.
Es war die Zeit der Amerikaner-Reben, allbekannt als Händelstifter,
mit deren Saft der Wirtshausbesitzer alle seine Fässer gefüllt hatte.
Berthold Schuldt vermutete zwar, der Wein sei sauer, aber als der Gastronom
das Angebot machte: "Gib eine Mark her, nord konnsch saufa,
bis'd umfellsch", war Schuldt überzeugt. Er nahm das Gebot an, das auch dann
für alle anderen Gäste galt.
Ob es Neuigkeiten im Dort gebe, fragte Schuldts Tischnachbar. Gleich hatte
Schuldt eine Anwort parat. Er sei heute Morgen schon im Dorf
unterwegs gewesen, und er traute wirklich seinen Augen nicht,
als er eine größere Gruppe Uniformierter auf Fahrrädern gesehen hatte.
Es tauchten am Tisch keine weiteren Fragen zu diesem Thema auf.
Wahrscheinlich war dieses Schweigen auch eine Antwort.
Was es sonst noch Neues im Dorf gebe, wollte ein anderer
Mann wissen. Schalkhaft näselnd meinte er: "Wenn ihr unbedingt
etwas Neues hören wollt, Däbbele, heut Nacht hat an meiner lockeren Dachrinne
der Wind Posaune gespiett." Zustimmendes Lachen ermunterte ihn
zu weiteren Geschichten.

Der Tag, ein sommerlich heißer Sonntag, war genau richtig zu dem
angekündigten Saalradfahren und Radballspiel des Radfah-
rer-Vereins "Sausewind'' im Badischen-Hof-Saal. Der Verein
hatte einen guten Namen, wie uns die Gewährsleute sagten.
Die Vereinsmitglieder waren alle links orientiert und somit
keine Anhänger der "Braunen".
Der Badische Hof war das Vereinslokal der Arbeitersportbewegung. Die Gar-
tenwirtschaft unter den schattenspendenden Kastanienbäumen war randvoll von Menschen.
So groß war der Zulauf zu diesem Radfahr-Spektakel, weil
solche Abwechslungen im Dorfe rar waren.
Der alte Lüdecke, ein exzellenter Konditor und Feinbäcker, ein echter Berliner,
hatte im Badischen-Hof-Garten einen Verkaufsstand aufgestellt, der wie üb-
lich von Kindern umlagert war, die ihr spärliches Sonntags-
geld gegen Süßigkeiten und Wundertüten eintauschten.

Beim Saalradfahren begannen die großen Nummern auf dem
Hochrad. Immer wieder bewiesen die Radler ihr Können.
Ein Glanzstück nach dem anderen folgte, mit einem Höchst-
maß an Geübtheit und Disziplin.

Niemand der Akteure und Besucher ahnte, was noch alles
passieren sollte.

Eine Gruppe der Nationalsozialistischen-Deutschen-Arbeiter-Partei (NSDAP)
war an diesem Sonntag in Sulzfeld mit ihren im Winde wehenden Hakenfreuzfähnchen unterwegs
und wollte Propaganda machen für den anstehenden
Wahlkampf. Ihnen war Berthold Schuldt schon am Vormittag begegnet, und nur er hatte
eine blasse Vorstellung, was passieren würde bei einer Begegnung der sich feindlich
gesinnten Gruppen.

Die uniformierte Truppe machte sich aggressiv und aufdringlich bemerkbar.
Alle Teilnehmer dieses Demonstrationszuges gehörten aus-
wärtigen SA-Standarten an. Die Wirtshaustreppe war voll mit erwartungsvollen
Besuchern, als der Demonstrationszug der "Braunen" am Badischen Hof vorbeizog.
Verbale Auseinandersetzungen flammten auf, bei denen die "Braunen" den Kürzeren zogen
und sie zunächst weiterziehen ließen.
Als ihnen ihre Niederlage bewußt wurde, kehrten sie um.
Mit Hilfe grelle Töne, die er aus seiner Trillerpfeife stieß,
forderte der SA-Anführer zum Sturmangriff auf.
Die Horde stürmte in den Badischen Hof und schlug alles
nieder, was ihr in die Quere kam.

Als erstes stürzte der Süßigkeitenverkaufsstand des Konditors
Lüdecke zusammen, und der kleine Emil mußte in Obhut ge-
bracht werden.
Viele Unschuldige wurden verletzt, die Veranstaltung im Saal
sofort abgebrochen. Die Menschen flohen nach Hause.
Diese Ausschreitungen wurden weder polizeilich angezeigt noch verfolgt.
Berthold Schuldt war nicht gegangen. "Das ist unsere Heimat," sagte
er, "das ist unser Dorf, hier sind wir daheim und werden
unseren demokralischen Weg gehen". Schuldt regte sich furchtbar auf
und diskutierte noch lange mit den wenigen Dagebliebenen.

Abschließend meinte er: "Däbbele, das waren heute Blinde mit Binde,
die die Macht im Lande erobern wollen."

Der Rufer und Mahner Schuldt hat eben im Widerspruch mit
seiner Zeit gelebt. Mit der Schilderung dieses Vorfalls sollen
keine politischen Schuldzuweisungen zum Ausdruck kommen.
Es soll nur erinnert und vor dem Vergessen bewahrt werden.