Schuldt ist im Dorf unterwegs, die Kirchenuhr zu warten. Sei-
nen Gedanken nachgehend, fiel dem Schuldt heute mal wie-
der auf, daß Oskar Schicks Mechaniker-Werkstätte geschlos-
sen war, obwohl das Speichenrad an der Hauswand "Fahrt
frei" symbolisierte. Schick war Lieblingssänger und Solist in
Schuldts Fidelitas. Wenn auch Oskar Schick mal eine Nacht
durchgemacht haben mag, so war er doch beliebt als Chor-
sänger, der mühelos die oberen Stimmlagen erreichte. Er
war ein Mensch mit vielen Facetten.
An seinen handwerklichen Fähigkeiten gab es nichts zu kriti-
sieren, auch wenn er öfter mal, meistens montags, die Werkstätte ge-
schlossen hatte. Schuldt näselte sogleich seinen Reim dazu:
"Am Meedich steht des Rädle still,
weil da Schick nix schaffa will."
Zwischen den beiden qualifizierten Dorfhandwerkern Schuldt und Schick
ist eine gewisse Seelenverwandtschaft zu erkennen und beide
waren nicht zu übersehende Originale im Dorf. Ganz offensichtlich
war auch, daß beide viel gemeinsam hatten.
Zur Chorprobe trafen sich die Sänger bei Brauereibesitzer Au-
gust Weigert im Gasthaus zum Bahnhof. Weigert war fleißi-
ger Sänger beim "Fidelitas". Der Schlußakkord war kaum ver-
klungen, da mußte auch schon der Bierhahn aufgedreht wer-
den. Weigert-Bier gab's im Krügle, das die Sänger munter
in Bewegung hielten. Gelegentlich stellte der Wirt auch
einen Humpen von seinem guten Freibier auf den Tisch. Unter
der Losung: Freundschaft, Unterhaltung, Frohsinn und mit viel
Gesang wurde die Chorprobe des öfteren "verlängert".                             :

Der Gaumen unseres Dorforiginals wurde von dem guten Frei-
hier nicht trocken. Als ihn aber ein Sangesbruder fragte: "Bert-
hold, warum kippst du so viel Bier in dich hinein?" Da platzte
die Antwort aus ihm heraus: "Däbbele, for da Dorscht dät mir
on Fingerhut voll longa." Dieses freudvolle Zusammen-
sein mit den Sangesbrüdern genoß Schuldt sehr.                    j
Der unvergessene Berthold Schuldt, man muß es immer wie-
der sagen, war geschätzt und beliebt im Dort. Er repräsentierte
Tradition, Heimatverbundenheit und Hilfsbereitschaft.

Nirgendwo ist aufgezeichnet, selbst unsere Gewährsleute wis-
sen es nicht, wann der "Fidelitas" aufgehört hat zu bestehen.
Nur die Gründungsurkunde des Vereins ist im Badischen Lan-
desarchiv in Karlsruhe vorhanden.
Berthold Schuldts Leben war erfüllt von Musik und Gesang.
Zu seinen Lebzeiten wurden zeitlich versetzt vier Gesangver-
eine aus der Taufe gehoben, die als kulturtragende Vereine in
die Dorfgeschichte eingingen, wobei Berthold Schuldt hierbei
als Förderer immer in Erscheinung trat. Schon als Neunzehn-
jähriger, am 23. Februar 1898, übernahm er seine erste Diri-
genten-Tätigkeit bei der Gründung des örtlichen Gesangver-
eins "Eintracht". Schuldt hat sich durch Selbstunterricht in Ge-
sang und Musik gebildet, und sein Vater hat ihn dabei beglei-
tet. 1900 bereits zieht der Verein mit Berthold
Schuldt auf das Sängertest nach Bretten und gleich darauf
nach Unteröwisheim, wo mit viel Jubel ein erster Preis errun-
gen wurde. Im Nachkriegsjahr 1919 ist es Berthold Schuldt,
der dem Liederkranz wieder auf die Beine half. Und im Jahre
1920 schon wieder Berthold Schuldt, der, vom Arbeitergesang-
verein engagiert, die lernwilligen Sänger in die ersten
Singstunden führte.

Schuldt begleitet die Vereine Liederkranz und Eintracht am 8.
Februar 1933 bei der Fusion, bei der sie sich mit an den neuen
Namen "Männergesangverein Sängerbund Sulzfeld" erst gewöhnen mußten.
Die stattliche Zahl von 120 Sänger füllten den Saal
bei den Singstunden.  Vorstand nach der Fusion
wurde Küfermeister Friedrich Wilhelm Guggolz, ein ruhiger
Mann, zuverlässig und mit großem Können in der Vereinsfüh-
rung. Berthold Schuldt wußte im Detail zu erzählen, daß bei
der Vereinigungsfeier, die im Treppenhaus - heutiges Bürger-
haus - stattfand, groß gefeiert wurde. In Strömen floß das Wei-
gert-Bier aus den Fässern. Wer es aber genau wissen wollte,
wieviel Bier durch die Kehlen gurgelten, fragte Schuldt und er-
hielt die genäselte Antwort: "Däbbele, des isch plausibel, 364
Liter sin's quest".

An eine andere Episode aus dem Gesangsvereins-Geschehen
sei noch erinnert.
Im Dort existierten über Jahre hinweg zwei konkurrierende Gesangsvereine.
Einen davon, den Liederkranz, dirigierte Hauptlehrer Britsch.
Er soll seinen Namen  nicht umsonst getragen haben.
Die Tochter des Vereinsvorstandes vom Gesangverein "Eintracht",
war Schülerin von Lehrer Britsch.
"Der Britsch", so sagte es Berthold Schuldt, "war wieder einmal
in Übellaune und nörgelte an seiner Schülerin herum. Ja, er
beschimpfte das Mädchen, um so seine Gegnerschaft, seinen
heimlichen Neid und Groll, gegen die "Eintracht" auszuleben.
Das eingeschüchterte Mädchen soll der Schulmeister ange-
bellt haben mit den Worten: "Dir schlag ih da Eintracht noch
aus om Kopf."