"Ein schauender Mensch"

Berthold Schuldt aus anderer Perspektive


Immer wieder sah man Berthold Schuldt in seinen Garten beim
"Haisa Gässle". Das war für ihn ein Refugium, wohin er sich
zurückzog, um fernab des Dorfalltags die Natur
und seine Ausgeglichenheit zu suchen.

In der einfachen, schlichten Schönheit seines Gartens sah er
eine heile Welt, in der sein Herz aufging und ihm die Musik er-
schloss. Ein unbekanntes Reich, von dem E.T.A. Hofmann sag-
te: "Es ist eine Welt, die nichts gemein hat mit der äusseren
Sinnenwelt, die ihn umgibt und die alle bestimmten Gefühle zu-
rücklässt, um sich einer unausprechlichen Sehnsucht hinzuge-
ben".
Sein Garten war für Schuldt Kraftquelle für vieles. Im Umgang
mit ihm und der Natur dürfte neben seiner tiefen Hingabe
zu Musik und Gesang  auch sein Umgang mit Menschen
und Dingen wurzeln.

Zeugnisse hierfür sind dokumentiert. Zu seinem Lebenswerk
gehörten vier Männer-Chöre und zwei Musikkapellen, von de-
nen wir heute stellvertretend nur zwei herausgreifen möchten.
Die durch den Ersten Weltkrieg verscheuchte Muse des Ge-
sangs kehrt wieder zurück, und 1919 ist es Berthold Schuldt,
der diesmal dem Sulzfelder "Liederkranz" auf die Beine hilft.
46 Aktive waren damals unter Schuldts Führung vereinigt.
Vorläufer des Arbeiter-Gesangvereins waren
unter Schuldt vereinigte Steinhauer, die es mit ihren Arbeiterlie-
dern verständen, Emotionen in Worten und Klängen auszudrücken.
Schuldt hat es nie verlernt, nach der Arbeit zu rasten und "träumen".
Er hat sich nicht verschlissen im Erwerb und im Abrackern von Körper
und Geist. Er schuf sich immer wieder Freiräume, die ihm als Musiker,
Kapellmeister und Chorleiter Erfüllung brachten. Ihm ist es gelungen, seinem Le-
ben dadurch Sinn und Inhalt zu geben sowie die Dorfgemein-
schaft kulturell zu bereichern. Seine freundliche Einstellung zu Menschen,
die er auch ausstrahlte, trug ihn bis zu seinem Lebensende.
Alle, die Berthold Schuldt erleben durften, sei es in seinem Geschäft,
in Vereinen, im Dorf, im Steinbruch, in einem Dorfwirtshaus oder auf seiner
Sandsteintreppe, spürten, daß da ein Mensch ist, der das alles verkörperte,
was er tat und meinte.---
Bei Schuldts war es einfach schön war. Da wurde nicht eingeladen. Jeder konnte
kommen. Schuldt und seine Miena hatten immer Zeit. Gast-
freundschaft wurde bei ihnen groß geschrieben. Einmal will
eine Nachbarin gehört haben, dass Schuldt aussprach: "Gast
im Haus, Gott im Haus". Und dass es, um Zeit zu haben, keiner
Uhr bedarf, äusserte er auch manchmal.
Berthold Schuldt liebte sein Heimatdorf, ja, er liebte es
mit allen Fasern seines Herzens. Dazu gehörten eben auch
die tiefen Beziehungen zu seinem Garten. Wenn er Zeiten der
Stille suchte und innere Einkehr nötig hatte,
war Schuldt in seinem Garten anzutreffen.

Ohne seine Gartenarbeit konnte Schuldt nicht auskommen.
Obwohl ihm die Arbeit später schwerfiel, betrieb er sein Hobby
bis zuletzt.
Auch ein Grundstück im Gewann "Oberm Raitlich" und einen
Weinberg in der Allmend bewirtschafteten die Schuldts. Klein-
landwirtschaft war zu jener Zeit nicht wegzudenken und existenziell wichtig.---

Schuldts Familie wohnte in den zwanziger Jahren zur Miete
bei Bäckermeister Heinrich Hagenbucher.
Im Jahre 1923 wurden alle von der Inflation getroffen. Der Bäcker
Hagenbucher hat seinem Hausmann Berthold Schuldt Mittei-
lung gemacht, dass heute in seinem Bäckerladen ein Laib Brot
80 Milliarden Mark koste. Wer da nicht schnell machte, seinen
Lohn in Naturalien umzusetzen, bekam für sein Geld über-
haupt nichts mehr. Eine Rolle Handfaden bei Kaufmann Fried-
richs und beim Bäcker ein wenig Zucker und Hefe, schon war
der Wochenlohn bei der galoppierenden Inflation weggefres-
sen. Dabei wurde das Elend des einen zur Freude des ande-
ren. Was es in der Weltgeschichte noch nie gab, Schuldner
waren ihre Schulden plötzlich los. Schuldt konnte keine Schul-
den derzeit aufweisen, wie uns die Gewährsfrau, Tochter Er-
na,  gesagt hat. Eine Hypothek aufs Häusle machte Schuldt
erst, als er umbaute und ein Stockwerk draufsetzte. Das war
im Jahre 1928. Heute, in Zeiten rascher Veränderungen, kön-
nen wir beobachten, wie Menschen sich an Erinnerung klam-
mern wie an einen Rettungsring. So hatte Schuldts Tochter
Emma Erinnerungen an das Weihnachtsfest 1929, als wegen
der Weltwirtschaftskrise auf dem Gabentisch nur Apfel, Nüsse
und etwas Schokolade lagen. Aber sie erlebte mit ihren El-
tern deshalb keine traurige Weihnachten. Das ganze Dorf,
Felder und Wälder lagen unter einer tiefen Schneedecke und
die Erde ruhte der neuen Saat entgegen.
Die Kinder hatten ihre Winterfreuden und wenn der Bahnschli-
tten, mit mehreren Pferden bespannt und die Kinder darauf
sitzend, durchs Dorf geschleift wurde, waren die Gedanken an Inflation
und andere Probleme zumindest für eine Weile verdrängt.